Hintergrund: Die großen Fünf

Laszlo Winterbach lehnte sich zurück und sog genüsslich den Rauch seiner Pfeife ein. Er musterte seinen Gegenüber mit einer eigenartig milde wirkenden Mischung aus Geringschätzung und väterlicher Nachgiebigkeit. Der Junge Mann ihm gegenüber sagte nichts, regte sich nicht und machte keineswegs Anstalten, sich beleidigt zu zeigen.

»Also schön«, seufzte der alte Mann und runzelte etlicher seiner tiefen Stirnfalten. »Im selben Maße wie ich einstmals als Ökonom gegolten haben muss, kann man sagen, dass die Gebilde, die wir heute unter den Namen Petrovsk, Sumsang, Ecco, Bavaria und Victoria kennen, früher Unternehmungen waren, deren Studium den Ökonomen durchaus lohnenswert schien.

Winterbach lächelte für die Winzigkeit einer Sekunde in sich hinein als er sehen konnte, dass sein Zuhörer ihm auf dieser Ebene nicht würde folgen können, doch verdunkelte seine Miene sich wieder als er sich erinnerte, dass es Zeit war, den Status Quo zu beschreiben.

»In der jüngeren Vergangenheit indes habe ich es bisweilen erlebt, dass man mich einen Historiker nannte, so wie man es früher mit Leuten tat, die die Geschichte der Staaten und Kulturen erforscht haben.«

Winterbach sah seinen Zuhörer eine Art Stift zücken, den er an ein Stück Technologie führte, um darauf geräuschlose Aufzeichnungen zu speichern. »Und heute?«, fragte er mehr beiläufig, so als wäre er es gewohnt gewesen, vor allem geduldig zuzuhören. Doch der alte Ökonom wusste es besser.

»Heute bin ich ein Relikt einer Zeit, die unvermeidlich ihr Ende gefunden hat.«

Der junge Mann kritzelte weiter. »Weil es keine Ökonomen mehr braucht?«, fragte er.

»Keine Ökonomie, kein Bedarf an Ökonomen«, sagte Winterbach ohne jede Spur von Bitterkeit.

»Was also sind die Großen Fünf?«

Die Pfeife erneut an den Mund geführt, kratzte Winterbach sich am Kinn und schnaufte. »Das logische, unausweichliche Ende des Kapitalismus. Staatgewordene Monopolisten, die nicht länger auf Geld oder Wachstum aus sind, sondern bar jeder sozialen Verantwortung den Selbsterhalt auf Kosten der jeweils anderen an die oberste Stelle setzen.«

»Wie die Staaten der Welt vor der Reform der Vereinten Nationen?«, fragte der Mann, dessen Äußerungen ihn endgültig auch für unbeteiligte Zuhörer als Journalisten ausweisen, doch musste er halb staunend halb ungläubig sehen, wie Laszlo Winterbach einmal mehr nur abfällig schnaufte.

»Unsinn!«, grantelte der alte Mann und bließ seinem Gegenüber Pfeifenrauch ins Gesicht. »Sie gerieren sich wie die Kolonialisten vor zwei, drei Jahrhunderten. Gott sei Dank gibt es in den Weiten des Sonnensystems keine Kulturen zu zerstören, sondern nur Menschen zu verheizen, die nicht schuldlos an ihrer Misere sind.«

»Wie meinen Sie das?«

»Das will ich Ihnen sagen. Es gibt diesen unsäglichen Spruch, dass ein jedes Volk sich seine Herrscher selbst erwählt. Man kann gute Gründe dafür anbringen, dass das bei den Aufsichtsräten derer Eccos, Petrovsks etc. nicht so einfach ist, und es gibt beinahe ebenso gute Gründe, die Verantwortung dafür ökonomisch unkundigen Menschen einfach erlassen zu wollen, aber Tatsache ist doch, dass wir alle, demokratisch legitimiert oder nicht, den Mammon und seine Lobbyisten haben gewähren lassen.«

Der junge Mann nickte, und Winterbach konnte sehen, dass kaum merkbare Zufriedenheit seinen Kopf eine Winzigkeit nicken ließ. »Was wollen Sie noch wissen?«, fragte er schroff, doch nicht ohne die Hoffnung, ihn noch etwas mehr belehren zu können.

Er wog seinen Kopf hin und er und ließ den Stift zwischen zwei Fingern auf- und abwandern. »Wie es weitergeht«, sagte er schließlich.

Winterbach konnte die Nervosität des Mannes jetzt spüren. Ja, für diese Frage war er hergekommen. Um nach Ökonomie zu fragen und doch Politik zu bekommen. Lächelnd zog der Ökonom an seiner Pfeife und fragte sich, wie weit er gehen wollte. Auch, wie weit er gehen konnte. »Die neue Ordnung der Dinge ist brüchig«, sagte er und pustete den Rauch wieder hinaus. »Sie umtänzeln einander wie Raubtiere, jederzeit bereit, die Schwäche des anderen zu offenbaren und auszunutzen. Wenn ich sage, dass das Zeitalter des Kapitalismus an seinem logischen Ende ist, dann meine ich damit nur, dass wir das Endspiel erreicht haben. Die großen fünf sind übrig, doch sie werden jede Chance nutzen, einen Gegner nach dem anderen auszuschalten.«

»Bis nur noch einer übrig ist«, antwortete der andere Mann und nickte.

Der alte Ökonom lachte. »Nein, mein Junge. Bis zwei übrig sind.«

Fragend blickte der Journalist Laszlo Winterbach an. Glucksend schüttelte der Alte seine Pfeife aus und begann mit dem Putzer die Rest hinaus zu schaben. Er hatte keinerlei Eile, den Jungen zu erleuchten. Erst als der neue Tabak knisterte, räusperte er sich. »Haben Sie es sich überlegt?«

»Wie bitte?«

Winterbach war nicht überrascht, dass der Journalist nicht in der Zwischenzeit darauf gekommen war, worauf er hinaus wollte. »Ach, schon gut. Ich vergesse manchmal, dass man von der Jugend nicht eben viel Lebenserfahrung verlangen kann.« Seinem Gegenüber gelang es, nicht beleidigt drein zu blicken, doch blieb er trotzdem sprachlos.

»Es ist ja nun einmal so: Echte Monopole sind eine Erfindung der Theoretiker. In der Praxis wird ein Unternehmen ohne Konkurrenz letztlich dekadent zerfallen, bis es zu spät ist oder ein Konkurrent so erstarkt, dass es wieder Wettbewerb gibt. Das stimmt aber nur unter der Annahme, dass es so etwas wie Regulierung in irgendeiner Form gibt…«

»Und was bedeutet das für die Situation der großen Fünf?«

»Ah ja.« Winterbach räusperte sich, als habe er etwas vergessen. »Selbst wenn wir jetzt noch fünf haben – viele sagen, das Sonnensystem sei zu groß für ein Duopol.«

»Aber das sehen Sie anders?«

»Pffft.« Der junge Mann musste bisher nicht geahnt haben, dass man Pfeife auch laut rauchen konnte, denn er sah Winterbach an, als wäre er bereit gewesen, jeden Moment einen Feuerlöscher zu holen. Dieser jedoch setzte seine Erklärung seelenruhig fort. »Ich weiß es nicht«, meinte er genüsslich. »Aber ich weiß eines: Der Weg bis dahin wird sehr, sehr gefährlich. Mir ist nicht bekannt, ob man im Geschichtsunterricht heute noch die Entwicklungen im ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts rezipiert, doch fest steht, dass die Dynamiken zwischen den großen Fünfen von außen zumindest ganz ähnlich zu wirken scheinen wie damals in Zentraleuropa. Und auch wenn wir uns für modern, demokratisch, zivilisiert oder gar kapitalisiert halten, die Regeln haben sich nicht geändert. Kein bisschen.«

»Sie glauben an eine Konfrontation?«, fragte der junge Mann ihm gegenüber ohne jedes Zeichen von Aufregung. Wenn er Winterbachs Worte verstand, so ließ er sich nicht so leicht beunruhigen.

Winterbach nickte. »Glauben, junger Mann, hat damit rein gar nichts zu tun. Wir haben gesehen, was Millennium zu tun bereit war. Auch wenn sie alle Yang und seine Machenschaften zutiefst verabscheuen mögen, in jeder CEO-Schublade gibt es solche Pläne, in jedem Kopf in den Aufsichtsräten der großen Fünf gibt es solche Gedanken.«

»Wirklich?«

Der alte Mann lächelte wissend, rauchte weiter und nickte. »Ja, wirklich.«

Add a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert