Dieses Buch ist das persönlichste, das ich jemals schrieb
Lieber Leser,
manchmal ist das Schreiben schwierig, allein schon, „weil es eben für den Künstler so sein muss“. Ob das immer stimmt, lasse ich mal offen, für meinen neuen Cyberpunk-Roman Immersion Breach und sein Entstehen indes trifft es allemal zu. Und auch diese Zeilen sind doppelt so schwierig für mich wegen des Themas, mit dem ich mich beschäftige.
Die gute Nachricht dabei ist wie gesagt, dass ich dieser Tage mein neues Buch veröffentliche – und ich möchte Dir nicht nur wie sonst sagen, wieso Du es Lesen willst, sondern ausnahmsweise auch, warum ich es schreiben musste.
Soweit, so gut. Sollen wir anfangen?
Normalerweise dauert es bei mir vom ersten Wort auf der Tastatur bis zum Drücken des „Veröffentlichen“-Knopfes ein bis eineinhalb Jahre. Bei Immersion Breach war das anders, vielleicht dreimal so lang.
Denn als ich mit dem Manuskript begann, 2015 war das, hatte ich mich gerade von einer Mischung verschiedener seltsamer und zugleich beunruhigenden Zipperlein (zumindest für einen Mann Mitte Zwanzig) erholt, die mich den Gutteil der vorhergehenden Jahre geplagt hatten. Mangels Kassenärztlicher Kompetenz irgendwann im Selbstversuch als Vitamin D-Mangel übelster Sorte[1] identifiziert, fühlte es sich doch bisweilen so an, als würde mein Körper jede einzelne Funktion auf möglichst dramatische Weise einstellen, ob in Körper oder Geist. (Nur als Beispiel, dann höre ich auf zu nörgeln: Hat schon einmal jemand davon gehört, dass man Sehnenscheidenentzündung nicht nur in Fingern, sondern den Füßen bekommen kann? Tja, ich bis dahin auch nicht.)
Da ich wie gesagt Leute, die über körperliche Gebrechen lamentieren, nicht ausstehen kann, noch die medizinischen Details meiner verkorksten hormonalen Balance diskutieren möchte, komme ich jetzt zum Kern des Artikels zurück: Was Immersion Breach damit zu tun hat, und nicht zuletzt, wie es mich verändert hat. Und das ist ja der Kern einer jeden Erzählung: Die Wandlung innen oder außen, und in diesem Falle bei Autor und Protagonist gleichermaßen.
Nebenbei gesagt, und falls Du Dich wundern solltest, wie autobiographisch Immersion Breach nun ist, dieser Wolfgang Schmidt, von dem das Buch handelt, ist natürlich ganz und gar nicht wie ich, abgesehen eben von dem kleinen Detail, das ihn plagt: In seinem Fall heimgesucht von vermeintlich defekter Technologie, teilen wir das tiefe Gefühl von Disconnect, also einer anhaltenden Verbindungs- oder Teilnahmslosigkeit, die sich in erster Linie darin äußert, den eigenen Sinneseindrücken nicht mehr trauen zu können oder zu wollen.
Das ist das Setting in Immersion Breach:
Eine Welt, ein paar Jahre in der Zukunft nur, in der die allgegenwärtige Konnektivität den menschlichen Körper in Form von „Augmentierungssensoren“ einbezieht, und in der man eine breite Fülle von verschiedenen Eindrücken auf Knopfdruck in das menschliche Gehirn streamen kann, ob Bilder, Geräusche, Gerüche oder Geschmack.
Was ist der Konflikt? Wolfgang Schmidts Hardware funktioniert teilweise nicht mehr, denn während seine Technik so eingestellt ist, dass sie ihm das mittelalterliche Erscheinungsbild der Stadt zeigt, sprechen Geruch und Geschmack für eine Art industrielles Brachland, in dem Rosen nach Öl und brennendem Holz riechen. In einer Welt, in der alles auf die vollständige Integration mit künstlichen Eindrucksquellen eingestellt ist, bedeutet das für ihn den praktischen Verlust seiner Eigenständigkeit.
Wenn wir zurückkehren zur Geschichte über die Geschichte, so ist dies nahe an dem, was auch ich empfand: Die vielen verschiedenen Diagnosen meiner Ärzte passten nicht nur nicht zu den Fakten, sondern widersprachen sich zunehmend gegenseitig. Das führte zu einem Gefühl, in einem System gefangen zu sein, in dem es nicht um die Entdeckung und Behandlung des Ursprungs der Probleme ging, sondern Konformismus im folgenden Sinne: Beinahe schien mir, dass jeder Arzt seine fixe (und mit den anderen Ärzten unvereinbare) Menge an Krankheiten und Behandlungen hatte, und bei seiner Diagnose doch immer das unwahrscheinlichste auswählen würde. Jedes Mal auf’s Neue war ich froh, eine Erklärung (und vermeintliche Heilungsmöglichkeit) zu haben. Gleichwohl half von den Kuren und Pillen keine einzige, bis ich die Sache selbst in die Hand nahm und mich über jeden Rat hinwegsetzte[2].
Und so geht es auch Wolfgang, der akzeptiert, dass seine Hardwareaugmentierung defekt ist und sich von Rekonfiguration zu Rekonfiguration schleppt, wenngleich es zunehmend unsinnig scheint wenn er nach dem urteilte, was er selbst wahrnimmt oder wahrzunehmen glaubt, während sein Bewusstsein sich in eine Amalgamation aus Empfindungsfetzen zu zersetzen scheint und die Grenze zwischen realer und digital-augmentierter Welt zunehmend verwischt.
Trotz des tristen Themas ist Immersion Breach meine Ode an das Leben. Obgleich es fraglos selbst inmitten der Dystopien meiner Sammlung das düsterste Buch von allen ist, erinnert es mich daran, jeden Moment voll auszukosten, denn gerade durch die Dunkelheit darin lernt man das Licht neu wertzuschätzen.
Zum Glück fand ich für mich eine Lösung, sodass es mir heute gut, nein besser als jemals geht. Und Wolfgang?
Nun, das musst Du schon selbst herausfinden.
[1] Weiterführende Infos zum Thema Vitamin D-Mangel gibt es zum Beispiel unter http://www.vitamindelta.de/studie
[2] Weder ist dies ein Aufruf zu „medizinischem Ungehorsam“, noch soll es dazu dienen, den geneigten Leser zu verunsichern. Alles, was ich mir wünsche ist, dass sich jeder ein eigenes Urteil bildet anstatt dem lokalen Schamanen widerspruchslos zu folgen.